gefahren werden

Statt schnell mit dem ICE diesmal gemächlich mit dem IC unterwegs. Übrigens in exakt der gleichen Zeit in Gütersloh ankommend, wie sonst bis Minden oder Bielefeld mit Umstieg aus der Hauptstadt. Allerdings in einem klassischen Wagenabteil, wie zur Kaiserzeit mit vermutlich den gleichen Problemen, weder Heizung noch Sitzplatz-Reservierung im Griff zu haben….

aaHeutzutage aus einer bunt gewürfelten Mitfahrergruppe: die einen schlafend, andere essend und andere die Langeweile geniessend – etwas schneller als die Postkutsche ist es ja schon. Das Abenteuer fängt jedoch weit vor dem Besteigen der Bahn an. Da werden Gleisänderungen in Säuselstimme verkündet und sich für nicht angekoppelte Waggons und verlorene Reservierungen entschuldigt. Das hat sich mittlerweile auch die Bahnkonkurrenz Flixbus abgeschaut, mit dem einzigen Unterschied: es gibt WLan und es besteht Anschnallpflicht. Dazu kommt übrigens ein landschaftlich reizvolles Besuchsprogramm durch Regionen, Vororte und Graffiti Hinweisen. Und, glaube ich, die einmalige Gelegenheit: Langeweile zu perfektionieren!

Nun sagt man gemeinhin der fehlenden Langeweile bei Digital Natives die Kur-Wirkung eines Waldspaziergangs nach… was wohl auch stimmt, nachdem das Abendprogramm nicht erst mit der Drehscheibe um 18 Uhr beginnt und es kein TV-Testbild, vor dem Generationen einschliefen, mehr existiert. Nun wird Langeweile nicht auf Rezept verteilt, sondern muss aktiv wiederentdeckt werden! Kultivierte Langeweile ist im IC vor allem von der älteren Generation, trotz Smartphone Besitz, zu erlernen. Diese legt auf Ansprache augenblicklich jegliche Lektüre und Reisetaschen zur Seite, um sich der zwischenmenschlichen Konversation erfreut und hungrig zuzuwenden.

Die entscheidende Frage ist nun, ob sich Langeweile durch Smalltalk oder durch eigenes, inneres Vertiefen mit Ich-Bezug kultivieren lässt. Ist Langeweile und deren Musse angebohren oder notwendiger Sozial-Kit, um sich in ungewöhnlicher Situation und beengter Räumlichkeit zurecht zu finden.

Jetzt interessiere ich mich als Mitleser aktiv über pikante Enthüllungen zu Promi-Ehen und Scheidungsdramen, sowie fantastischer Apfelkuchen. Gibt und gab es jemals Wichtigeres? Ist die Alternative das Schweigegelübte, um Klatsch und Tratsch – ohne den Begriff fake news zu benutzen – weder zu ertragen, noch kommentieren zu wollen/müssen? Mittlerweise füllt sich unser Abteil und die Zugezogenen haben Schwierigkeiten, sich unserer stillen Freizeitgestaltung anzuschliessen. Das ist wohl der Grund, warum im Wartezimmer der Krankenhaus-Aufnahme nun stets TV-Geräte jeden freien Blickwinkel des Raumes möglichst grossflächig und aufgeregt übernehmen, ist Langeweile möglicherweise krankhaft?

Die Zeitschrift, so lese ich, heisst FreizeitSpass und handelt nicht über Heimwerker, Auto-Boliden und hat auch kein aktuelles TV-Programm… jetzt zieht übler WC-Geruch durch die offene Abteil-Tür. JA, wir haben neuen Gesprächsstoff gegen die langweilige Langeweile… natürlich gab es solche Zustände früher nicht, denn Zugfahrten gibt es ja schon länger, so dass reihum dem Unmut Luft gemacht werden kann. Hoffentlich kommt jetzt kein Schaffner: der würde sofort beauftragt ;))

Und genauso KLEIN ist die Welt: zwei allein-stehende Damen haben den gleichen Zielbahnhof und vermutlich sogar gleiche Bekannte. Jetzt nimmt das Gespräch an Intensität und Intimität zu – alle Mitreisende können wieder in Langeweile-Modus schalten, wollen aber nicht. So vergeht die Reisezeit mit sozialem Unfug; für alles andere fehlt ja auch der WLan Anschluss…

bbDer nächste Halt wird angesagt, die Bäderstadtkette beginnt. Jetzt ziehen immer mehr Abteilungs-Insassen ihr Mobiltelefon; wenigstens eine SMS könnte doch angekommen sind. Falls nein: ein weiteres Reizthema, die Technik ist eindeutig zu komplex. Da gäbe es zwar Senioren-Ausführungen, diese liessen jedoch Bedienungs-Inkompatibilität zu Tage treten. Langeweile, sortieren und aufräumen setzt ein, als die Konversation aussetzt. Ist das etwa der tandrische Zustand der ultimativen Erleuchtung in der kosmischen Langeweile? Wir passieren Herford – ich bin dafür, dazu eine Martha Sonderausstellung anzuregen! Wer nicht ins Museum mag, kann ja alternativ in den GoParc! So endet, was erkenntnisreich begann, ein Ausflug mit dem IC und den Facetten der Langeweile….

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